Bundesgericht

Gegenwärtig werden die Bundesrichterinnen und Bundesrichter nach Parteiproporz durch das Parlament bestimmt. Sie müssen sich nach Ablauf einer 6-jährigen Amtszeit zur Wiederwahl stellen. Die Parteimitgliedschaft nimmt dadurch eine wichtigere Rolle ein als die fachliche Qualifikation

der Bewerberinnen und Bewerber. Bei der Auswahl zählen gegenwärtig vor allem Verdienste innerhalb der Partei. Juristen, welche keiner Partei angehören, haben kaum Chance auf ein Bundesrichteramt, wurde doch der letzte parteilose Richter vor 79 Jahren gewählt. Da nur zirka sieben Prozent der Bevölkerung einer Partei angehören, sind 93 Prozent möglicher Kandidaten zum vorne herein ausgeschlossen. Als Gegenleistung für die Hebung ins Richteramt müssen Bundesrichterinnen und Bundesrichter ihren Parteien eine Mandats-Steuer zahlen.

Das Stellen zur Wiederwahl nach sechs Jahren provoziert zweifellos bei der Richterarbeit ein parteifreundliches Verhalten. Die Unabhängigkeit des Gerichts ist nicht gegeben. Auch internationale Institutionen kritisieren das schweizerische, parteiorientierte Bundesgericht. Die faktische Notwendigkeit der Anwärter, zur Wahl und Wiederwahl von einer Partei unterstützt zu werden, führt zu einer institutionellen Abhängigkeit und damit zur Nichterfüllung der verfassungsrechtlichen, richterlichen Unabhängigkeit.

Mit der Justiz-Initiative soll das Verfahren für die Wahl der höchsten Richterinnen und Richter der Schweiz parteineutral gestaltet werden.

Eine unabhängige Fachkommission, die für die Dauer von zwölf Jahren vom Bundesrat bestellt wird, soll bei allen Bewerberinnen und Bewerbern die fachliche und persönliche Eignung prüfen. Dabei ist eine angemessene Repräsentation der verschiedenen Amtssprachen sicherzustellen. Aus allen valablen Bewerbungen wird anschliessend per Losentscheid die definitive Wahl getroffen. Derart bestimmte Richter wären autonom und völlig befreit von parteipolitischen Einflüssen. Sie werden nicht von Parteien, Verwaltungen oder Lobbyorganisationen beeinflusst. Auch wird vermieden, dass Karrierepolitikerinnen und -politiker durch Kollegschaften in die höchsten Richterämter gehoben werden.

Die Amtsdauer der Bundesrichterinnen und Bundesrichter soll, gemäss Initiative, bis fünf Jahre nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters dauern. Durch diese Regelung entfällt die Wiederwahl. Zudem soll das Parlament die Bundesrichterinnen und Bundesrichter, bei schweren Amtspflichtverletzungen oder bei Unfähigkeit zur Amtsausübung, auf Vorschlag des Bundesrats abberufen können.

Dass die Justiz-Initiative zustande gekommen ist, ist ein Hinweis dafür, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Richterwahlen nicht vollkommen ist. Die Schweizer Verfassung schreibt unabhängige und unparteiische Gerichte vor. Nicht die gesellschaftlichen oder die im Parlament vertretenen, politischen Kräfte sollen spiegelbildlich abgebildet sein.

Es scheint plausibel, dass eine Fachkommission eher die Fähigkeiten der Kandidierenden ins Zentrum der Qualifizierung rückt als die parlamentarische Gerichtskommission. Ob eine fachtechnisch ausgerichtetes Richterkollegium die bessere Lösung ist, ist indes umstritten. Vor dem Hintergrund, dass die Gesetzgeber, bedingt durch die trägen, demokratischen Prozesse, mit dem schnellen, politischen und wirtschaftlichen Wandel nicht Schritt halten können, müssen Gerichte vermehrt politische Entscheidungen fällen. Sachverhalte, die vertraglich unscharf formuliert oder gesetzlich noch nicht geregelt sind, allein nach juristischen Gesichtspunkten beurteilen zu lassen, ist problematisch. Juristen wenden, aus juristischer Korrektheit, in diesen Fällen häufig Paragrafen an, die für den gegebenen Fall nicht gedacht sind. Langwierige Prozesse und unverständliche Entscheidungen sind die Folgen. Beispielsweise diskutieren Juristen in vielen Ländern noch heute, sechs Jahren nach Bekanntwerden des Dieselskandals, über die Schuld- und Schadenersatzfrage. Bundesrichterinnen und Bundesrichter ausschliesslich nach juristischen Gesichtspunkten zu selektieren ist aus diesem Grund nachteilig.

Richter in den höchsten Richterämtern stellen heutzutage praktisch eine parlamentarische Vorhut dar, die im Schnellverfahren den politischen Weg in die Zukunft aufzeichnen. Bei diesem Sachverhalt drängt sich der Einsatz von Geschworenen mit einer politisch-gesellschaftlicher Sichtweise auf. Ein Geschworenengericht aus Nichtjuristen beurteilt den Fall politisch-gesellschaftlich während Richter die Rechtlichkeit sicherstellen. Bei dieser Lösung werden zum einen die Prozesse kürzer, zum anderen die Akzeptanz der Urteile grösser, zudem würde dem Gerechtigkeitsempfinden besser Genüge getan.

Obwohl die Abstimmungsvorlage bemerkenswerte Argumente hervorbringt, zielt der Vorschlag an den wesentlichen Mängeln des Schweizer Justizwesens vorbei. Anstelle einer Wahlreform drängt sich insbesondere auch deshalb eine weitergehende Justizreform auf, weil der Mittelstand von der Rechtsprechung praktisch ausgeschlossen ist. Gegenwärtig nützt die Justiz lediglich den Armen, die das Rechtssystem kostenlos nutzen können, und den Reichen, denen die hohen Kosten keine Mühe bereiten. Die verfassungsmässige Unabhängigkeit, die Anpassung an die weltpolitischen Veränderungen, die Schaffung schnellerer Verfahren und die Sicherstellung der Rechtsprechung für alle Bürger erfordert in der Schweiz eine umfassende Justizreform.