Justizgebäude

Oft erschleichen sich Unternehmen, jenseits der Legalität, Geschäftsvorteile. Sie sind sich der Illegalität bewusst, können aber davon ausgehen, dass gegen ihren Betrug nicht geklagt wird.

Die Gerichtskosten stehen für den Einzelnen in keinem Verhältnis zum Schaden. Gehen hingegen viele gleichermassen Geschädigte gemeinsame vor, lässt sich ein Rechtsanspruch mit vertretbaren Kosten und Risiken durchsetzen. Ein entsprechendes Instrument für die kollektive Rechtsdurchsetzung fehlt jedoch in der Schweiz.


Der Bundesrat bestätigt in seinem Bericht aus dem Jahre 2013, dass in Fällen von Massenschäden in der Schweiz eine erhebliche Rechtsschutzlücke besteht. Vincent Maitre, Vorsitzender der beschlussfassenden Kommissionssitzung, bestätigte seinerseits: Die heutige Situation ist unbefriedigend und wir müssen zugeben, dass wir in der Schweiz ein Problem mit dem Zugang zur Justiz haben. Dennoch hat die Kommission am 24. Juni 2022 beschlossen, nicht auf die Vorlage des Bundesrates einzutreten und frühestens in einem halben Jahr die Gespräche wieder aufzunehmen. Seit neun Jahren wird das Thema im Bundeshaus diskutiert und erarbeitete der Bundesrat Lösungsvorschläge, die allesamt, schon in den Ansätzen, von den Räten abgelehnt wurden.


Mit Schreckensszenarien setzt die Schweizer Industrie das Parlament unter Druck, auf ein derartiges Gesetz zu verzichten. Masslose Sammelklagen nach amerikanischem Vorbild würden die Schweizer Wirtschaft schwächen. Die resultierenden Kosten seien für die Schweizer Wirtschaft nicht tragbar und es würde sich, im Stil der USA für die Schweiz unpassend, ein Wirtschaftszweig bilden, um aus dem Gesetz Profit zu schlagen. Die Wirtschaftsverbände drücken damit verdeckt aus, dass sie der Schweizer Regierung die Fähigkeit absprechen, ein für die Schweiz passendes Gesetz zu schaffen? Dass sich die Schweizer Industrie, vor dem Hintergrund von Arbeitsplatz-Verlusten durch die Digitaltechnik, gegen einen neuen Wirtschaftszweig mit neuen Arbeitsplätzen stellt, ist nicht nachvollziehbar.


Ein Gesetz zur kollektiven Rechtsdurchsetzung dient dem Staat zur Durchsetzung seiner Gesetze und den Konsumenten für zugefügten Schaden entschädigt zu werden. Beispielsweise:

  • Patienten und Patientinnen können wegen eines fehlerhaften Medikaments für den entstandenen Schaden Entschädigungen gelten machen.
  • Retrozessionen, also Provisionen, die Banken von Anbietern von Anlagefonds erhalten, gehören gemäss einem Bundesgerichtsurteil den Kunden. Im Wissen, dass sich für die Kunden die Einforderung nicht bezahlt macht, behalten die Banken diese Beträge zurück. Die im Einzelfall kleinen Beträge ergeben kumuliert Riesensummen, die rechtswidrig bei den Banken bleiben.
  • Tausende von Reisenden haben die Rückerstattung von Ticketkosten zugute, weil Airlines aus verschiedenen Gründen Flüge annullierten. Einzelpersonen haben kaum die Möglichkeit, entsprechende Schadenersatzforderungen durchzusetzen.
  • Schadenersatzforderungen von rund 6’000 Autobesitzern, infolge nicht erbrachter vertraglicher Leistungen (VW-Skandal), konnten in der Schweiz nicht durchgesetzt werden, während in Deutschland den Geschädigten 1350 bis 6257 Euro ausbezahlt wurden.
  • Dienstleistungsanbieter outen sich, wenn es um Rückzahlungen geht, plötzlich als Vermittler (nicht Vertragspartner), um sich aus jeglicher Verantwortung zu stehlen.
  • Fitnesscenter fordern bei Wegzug eines Kunden aus der Region noch monatelang – bis Jahresende – Gebühren, ohne dass der Kunde den Service nutzen könnte.

Die Liste lässt sich beliebig erweitern.


Gerichtsverfahren kommen infrage, wenn ein Unternehmen geltende Bestimmungen missachtet. Aufrichtige Unternehmen sind somit bei einem Gesetz zur kollektiven Rechtsdurchsetzung in keiner Weise tangiert. Zudem tragen bei den Gerichtsverfahren die Verlierer die Kosten. Hält sich ein Unternehmen an die gesetzlichen Bestimmungen, hat es kostenmässig nichts zu befürchten. Ferner handelt es sich bei Klagen von Konsumenten in der Regel um klare Sachverhalte und entsprechend einfache Gerichtsverfahren, sodass das Argument der Industrie, aufwendige Gerichtsverfahren würden sie schwächen, jeglicher Grundlage entbehrt.

 
Mit einem Gesetz zum Schutz der Konsumenten vor Massenvergehen wird den betrügerischen Praktiken ein Riegel geschoben. Die Unternehmen werden angehalten, gesetzeskonforme Verträge anzuwenden und sich an die Spielregeln zu halten. Die Schweiz gilt in dieser Frage als Entwicklungsland. Viele europäische Länder verfügen über praktische Lösungen zur kollektiven Rechtsdurchsetzung. Ratsmitglieder, die die Sachlage nicht realistisch einzuschätzen vermögen und die Notwendigkeit eines Gesetzes nicht erkennen können, würden dem Rechtsstaat Schweiz dienen, wenn sie sich aus dem Parlament verabschieden würden. Es kann doch nicht angehen, dass Unternehmen auf dem Schweizer Markt ihre Umsätze, mit dem Segen des Parlaments, weiterhin mit rechtswidrigen Handlungen erwirtschaften.

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