Wirtschaftsleistung

Die meisten Regierungen der Welt versprechen Wohlstand durch Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig führt Wachstum zu klimatischen Veränderungen, die sich in Umweltkatastrophen, globalen Pandemien und acht Millionen umweltbedingten Toten im Jahr widerspiegeln.

Wir leben in einem Widerspruch.


Wirtschaftswachstum wird von den meisten Ökonomen als notwendig erachtet, um eine Erhöhung der Arbeitslosenquote zu vermeiden. Mit null oder negativem Wirtschaftswachstum gehen Arbeitsplätze verloren, Staatseinnahmen sinken und verhindert damit die Finanzierung von Infrastrukturen, Schulen, Gesundheitseinrichtungen und sozialen Aufgaben.


Bei einem Abschwächen des Wirtschaftens verlieren Menschen ihren Job. Um eine drohende Abwärtsspirale zu vermeiden, müssen wir ein gewisses Wachstum aufrechterhalten. Staaten, Regionen, die ein hohes Wachstum schaffen, leben in einem aufblühenden Wirtschaftsumfeld. Tendenziell sind die Lebensbedingungen in einem Land umso besser, je grösser die Wirtschaftskraft des Landes ist. Ob Wirtschaftswachstum oberhalb einer Schwelle die Lebensqualität noch verbessert, ist allerdings umstritten.

Die Probleme des Wirtschaftswachstums

Glorifizieren von Wirtschaftswachstum führt zu politischen Fehlschlüssen. Die USA beispielsweise brüstet sich mit einem gestiegenen Bruttoinlandsprodukt, obwohl dieses zu einem erheblichen Teil durch die Reinigungsleistungen bei der Ölpest im Golf von Mexiko zustande kam. Ein Beispiel, das genauso grotesk ist, wie ausgewiesenes Wirtschaftswachstum durch Umweltschäden oder Pandemien.

Anstelle von Wohlstand kann Wirtschaftswachstum den Lebensraum durch Erderwärmung, Umweltverschmutzung zerstören. Es kann aber auch Artensterben, Zusammenbruch von Ökosystemen und Verringerung natürlicher Ressourcen bewirken. Zudem verstärkt es die Ungleichheit und erhöht die Kluft zwischen Arm und Reich ohne dabei das individuelle und gesamte Wohlbefinden zu steigern. Im Gegenteil. Die weltumspannende Biologie läuft Gefahr, zu kollaborieren.


Fortschritt und Wohlstand wird mit dem ausgewiesenen Wirtschaftswachstum praktisch auf den technischen Fortschritt reduziert und wird dem Streben nach „Vervollkommnung“ nicht gerecht. Der Wohlstand einer Gesellschaft ist am Wohlergehen der grossen Mehrheit der Bevölkerung festzustellen.

Das Ausschöpfen grenzenloser, materieller Freiheiten wird mit dem Verlust an nutzbarer Ressourcen für die zukünftigen Generationen und mit einer Zunahme von ökologischen Schäden erkauft. Verteilungskämpfe durch schrumpfende Ressourcen und Umweltveränderungen treten schon heute beim Flüchtlingsaufkommen in Erscheinung.

Konsequenzen von null oder minus Wachstum

Die Weltbevölkerung wächst stetig. Nur mit Wirtschaftswachstum lässt sie sich versorgen und nur mit Wirtschaftswachstum lassen sich Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, ohne Sozialabbau in den fortgeschrittenen Regionen, ausgleichen.

Der Wachstumszwang ergibt sich auch aus der Vorstellung, moderne Gesellschaften würden nur mit Wirtschaftswachstum stabilisiert werden können. Wird das Wachstum verhindert, muss die Armut durch Umverteilung bekämpft werden. Eine bei den gegenwärtigen, gesellschaftlichen und weltpolitischen Zusammenhängen kaum durchführbare Massnahme.

Ist das Wirtschaftswachstum ein Gradmesser für den Wohlstand?

Es braucht keine wissenschaftliche Studie, um festzustellen, dass die Messgrösse des Wirtschaftswachstums als Gradmesser unseres Wohlstands, untauglich ist. Denn viele entscheidende Lebenswerte wie Emotionen oder das soziale Wechselspiel unter den Menschen werden nicht berücksichtigt. Gleichzeitig werden Reparaturen an Umweltverwüstungen und Gesundheitsschäden als Wirtschaftsleistung und damit als Wohlstandgewinn ausgelegt. Ein hoher Wert resultiert auch, wenn wenige Reiche reicher, andere Bevölkerungsschichten aber ärmer werden. Der Zugang zum privaten Konsum, die Zugangsmöglichkeiten und Qualität des Gesundheits- und des Bildungswesens, die Kriminalitätsrate, Umweltbelastungen und deren mögliche Folgekosten bleiben beim Wirtschaftswachstum unberücksichtigt. Eine neue Messgrösse, ausgerichtet auf Gesundheit, Sozialwesen, Qualität von Freizeit, Kosten von Umweltschäden sowie Anteile am Klimawandel, würde zu grundlegend anderen, politischen Entscheidungen führen.

Alternativen zur einseitigen Ausrichtung auf das Wirtschaftswachstum?

Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verlangen eine Änderung des Wirtschaftens. Doch wie das ohne grossen Wirrwarr geschehen soll, dazu gibt es kaum praktizierbare Ideen. Entsprechend fehlt auf allen Handlungsebenen der Wille Veränderungen an die Hand zu nehmen.

  • Planwirtschaft nach dem Muster Nordkoreas oder Kubas zeigen, dass die wirtschaftliche Versorgung der Bevölkerung zu komplex ist, als dass eine Kommission passende Entscheidungen treffen könnte. Zudem fehlt der Antrieb für Verbesserungen.
  • Giacomo Corneo von der Freien Universität Berlin schlägt ein Modell vor, das er Aktienmarktsozialismus nennt. Hier geht es um gerechtere Einkommensverteilung.
  •  In vielen Vorschlägen geht es darum, dass die Gesellschaft zurückkehrt zu lokalem handeln, beispielsweise mit Genossenschaften.
  •  Ebenfalls wird darüber diskutiert, wie man die Gesellschaft vom Konsum weg bekommt. Ökonom Tim Jackson fordert zum Beispiel, dass der Staat den öffentlichen Raum von Werbung befreien soll, damit der Wettstreit um Status und Besitz nicht angetrieben wird.
  •  Eine weitere Idee sieht eine Konsumsteuer vor, die je höher ausfällt, desto emissionsintensiver ein Gut ist.
  •  Laut der UNESCO, beziehungsweise der Vereinten Nationen, muss das Wachstum mit Dienstleistungen an Stelle von Waren angestrebt werden.
  •  Manche Ökonomen machen sich für eine Wirtschaft ohne Wachstum stark und werben für eine sogenannte Postwachstumsökonomie. Dafür sei die Bereitschaft der Menschen nötig, weniger zu besitzen. Es müsse weniger produziert werden. Statt einer 40-Stunden-Woche wäre eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden ausreichend.
  •  Gebrauchsgegenstände mit anderen zu teilen, wird ebenfalls diskutiert. Doppelte Nutzung bedeutet halbierter Bedarf. Ein gleicher Effekt wird mit verlängerter Nutzung erzielt. Durch Instandhaltung, Reparatur oder Umbau könnte die Produktion neuer Objekte zusätzlich halbiert werden.

Der Vorschlag mit der grössten Zustimmung ist unter dem Begriff Postwachstumsökonomie (Degrowth) - Gesundschrumpfen der Wirtschaft und Finanzen-Wirtschaft - bekannt. Die erste internationale Konferenz, zum Begriff „degrowth“ fanden im Jahr 2008 in Paris statt. Weitere folgten. Das deklarierte Ziel ist es, Wissenschaftler, Aktivisten und Vertreter der Zivilgesellschaft zusammenzubringen, um gemeinsam Bausteinen für eine Degrowth-Gesellschaft zu entwerfen. Grundlegend gehen die Bemühungen davon aus, dass weniger Konsum nicht gleichbedeutend mit weniger Lebensqualität ist, ganz im Gegenteil. Das Wohlbefinden der Menschen kann höher werden, wenn überflüssige Aufgaben und Arbeitsstress wegfallen und sich Menschen vom materiellen Überfluss befreien.

Politisch wird mit forcieren neuer Technologien vordergründig die Lösung der Umweltprobleme angestrebt. In Tat und Wahrheit wird die Schaffung neuer Arbeitsplätze und damit die Fortführung von Wachstum und keinesfalls das Herunterfahren auf ein nachhaltiges Niveau angestrebt. Die Degrowth-Idee verneint die Schaffung neuer technologischen Lösungen, weil Rebound-Effekte auftreten, die die Produktion und den Konsum steigern und somit zu noch mehr Umweltverbrauch führen.


Hauptstossrichtungen der Degrowth-Idee ist, eine Regionalisierung der Wirtschaft, die gerechtere Verteilung von Einkommen und Ressourcen, neue demokratischere Institutionen und soziale und technische Innovationen, die ein massvolles Leben fördern. Wohlbefinden spiegelt sich in vielen nicht konsumbedingten Dingen, beispielsweise in gerechter Wertschätzung geleisteter Arbeit.

Veränderungen herbeiführen

Als Knackpunkt erweist sich der Übergang in eine neue Wirtschaftsordnung. Es besteht ein erhebliches Risiko, dass relevante Geldflüsse ins Stocken geraten und soziale Brennpunkte entstehen. Befürworter eines Wechsels sind sich bewusst, dass man nicht "mal eben" die Wirtschaftsweise wechseln kann. Sie wollen aber, dass das jetzige System nicht als alternativlos hingenommen wird und der mögliche Untergang unserer Kultur dem Schicksal überlassen wird.


Viele Kommentatoren freuen sich, wenn das Bruttoinlandsprodukt kräftig wächst. Nicht zuletzt, weil nach neoliberalen Vorstellungen hohe Wachstumsraten quasi automatisch zu allgemeinem Wohlstand führen. Dass dieser Zusammenhang nicht zutrifft und dass Wohlstandgewinne oft nur zu obszönem Reichtum von einigen Wenigen führen, jedoch keinerlei positive Effekte auf Umwelt und Gesellschaft haben, ist inzwischen vielfach nachgewiesen.


Es liegt auf der Hand, dass die Änderung der Wirtschaftsordnung zum Wohle der heutigen und zukünftigen Generationen und deren Lebensgrundlagen nicht an einem Stichtag in der Zukunft und auch nicht von einzelnen Staaten bewerkstelligt werden kann. Es steht aber nichts im Wege, dass sowohl die Weltgemeinschaft als auch einzelne Staaten sich Ziele für eine zukünftige Wirtschaftsordnung vornehmen können. Dazu müssen lediglich die bereits verankerten Umweltziele (CO²), insbesondere mit sozialen Zielsetzungen, ergänzt werden. Zusätzlich dürfen in unserer kultivierten Gesellschaft auch Ziele zur Vermeidung von Wirtschaftskriegen nicht fehlen.


Nur Fantasten sind überzeugt, dass wir weiterhin Jahr für Jahr ein Wirtschaftswachstum im Prozentbereich verkraften können. Jene sind sich nicht bewusst, dass wir dadurch in 50 Jahren über 60 Prozent mehr Autos, Flugzeuge und Spitäler, über 60 Prozent mehr Beton, Energiegewinnung, Atommüll, Meeresverschmutzung und Weltraumschrott haben werden. Letztendlich wird sich, bedingt durch Mangellagen beziehungsweise Preissteigerungen bei Verknappung gefragter Güter (Wasser, Wohnraum, Energie), der soziale Unfrieden zwischen der Oberschicht und den unteren Bevölkerungsschichten weiter ausgebreitet haben. Bleibt die Frage, wo vor diesem Hintergrund ein Nutzen aus dem Wirtschaftswachstum erwächst.

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